

Das Ergebnis der Untersuchung zeigt: eine 100% Erneuerbare Energien Region ist möglich. Aber wie? Hierzu führte William Labitzke, Sprecher des SPD-Arbeitskreises Klimaschutz und Energie ein Interview mit Jens Palandt, erster Verbandsdirektor des ZGB.
LABITZKE: Der Großraum Braunschweig auf dem Weg zu einer 100%-Erneuerbare-Energie-Region!? Ist das realistisch? Und was leistet das vom ZGB erarbeitete Regionale Energie- und Klimaschutzkonzept in diesem Zusammenhang?
PALANDT: Das nun vorliegende Energie- und Klimaschutzkonzept für den Großraum Braunschweig zeigt die Grundlagen für ein zielgerichtetes Vorgehen der zukünftigen Ausgestaltung der Energiebereitstellung, des Energieverbrauchs und der Energieeinsparung vor dem Hintergrund knapper werdender fossiler Energieträger bis zum Jahr 2050 auf. Verdeutlicht wird, was es eigentlich konkret heißt, die Energiewende auch im Großraum Braunschweig umzusetzen. Wir können beantworten, ob und wie das ehrgeizige Vorhaben überhaupt zu schaffen ist und welche Alternativen bestehen. Es wird eindrucksvoll aufgezeigt, welche ganz konkreten Auswirkungen, Vor- und Nachteile oder Belastungen für Mensch und Landschaft mit dem Umbau der Energieversorgung verbunden sein werden. Übrigens: Die Energiewende bedeutet nicht weniger als eine grundlegende Transformation hin zu einer gänzlich neuen Energieversorgung. Hierbei gilt es, einen Weg zu beschreiten, der eine sichere und bezahlbare Energieversorgung mit den erneuerbaren Energien auch in der Zukunft garantiert. Im Zuge dessen dürfen die Menschen natürlich nicht zu sehr durch die Veränderungen, die der Ausbau v.a. der Wind-, Solar- oder der Bioenergie in der Landschaft mit sich bringt, belastet werden. Gleichwohl ist der zielgerichtete Ausbau der Erneuerbaren Energien auch aus sozialer und ökonomischer Sicht vor dem Hintergrund ständig steigender Preise fossiler Energieträger sowie der schon heute immer deutlicher spürbaren Auswirkungen des Klimawandels aus meiner Sicht alternativlos. Das Regionale Energie und Klimaschutzkonzept soll nicht zuletzt die Erarbeitung teilregionaler und kommunaler Konzepte und möglichst auch Umsetzungsmaßnahmen im gewerblichen Bereich oder bei privaten Haushalten anstoßen. Ziel dabei ist es, einen möglichst hohen Anteil der Wertschöpfung in der Region zu behalten. Der Umbau von einer zentralen Energieerzeugung durch überwiegend fossile Energieträger hin zu einer dezentralen Energieversorgung wird erhebliche regionalökonomische Folgen und Arbeitsplatzeffekte haben. Das vorgelegte Konzept ist – und das ist mir ganz wichtig – auch als Grundlage für politische Entscheidungen zu sehen wie die zukünftige Energiepolitik im Großraum Braunschweig mittel- bis langfristig gestaltet werden soll.
LABITZKE: Herr Palandt, wo sehen sie die Potentiale, um die Region im Jahr 2050 aus 100% erneuerbaren Energien zu speisen?
PALANDT: Die durchgeführten Analysen und Szenarien haben gezeigt, dass der künftige Energiebedarf im Großraum Braunschweig bilanziell vollständig durch Erneuerbaren Energien möglich ist. Das heißt: Der Großraum Braunschweig hat das Potenzial, sich zu einer 100 %-Erneuerbaren-Energie-Region zu entwickeln. Dafür sind jedoch enorme Anstrengungen notwendig, die – wie gesagt – hohe Anforderungen an viele Akteure sowie Bürgerinnen und Bürger stellen. In der Potenzialanalyse geht es um die Abschätzung des im Verbandsgebiet realistisch erreichbaren Angebots an Erneuerbaren Energien unter der Prämisse einer bestmöglichen Ausschöpfung naturräumlicher und technischer Ressourcen. Gleichermaßen wurden zudem die Einsparpotenziale durch eine effiziente und bedarfsangepasste Energienutzung ermittelt, um Aussagen über die künftige Energienachfrage treffen zu können. Die Potenzialanalyse stellt in diesem Zusammenhang jedoch keine Prognose der zukünftigen Entwicklung dar. Vielmehr zielt sie darauf ab, eine Bandbreite des unter verschiedenen Bedingungen und Grundannahmen in der Region Möglichen aufzuzeigen. Grundsätzlich gilt für die ermittelten Potenziale mit Zielhorizont 2050, dass das Ziel einer klimaverträglichen Energieversorgung massive Anstrengungen im Bereich der Erneuerbaren Energien und Energieeinsparung sowie den weitreichenden Umbau des gegenwärtigen Energieversorgungssystems erfordert. Wie weit die ermittelten Angebotspotenziale dazu tatsächlich ausgeschöpft werden müssen, wird im Abgleich mit den Potenzialen zur Reduzierung des Energiebedarfs im Rahmen von Szenarien dargestellt. Im Ergebnis der Potenzialanalyse zeigt sich, dass in der Region noch vieles möglich ist hinsichtlich der Nutzung Erneuerbarer Energien. Die größten Angebotspotenziale eröffnen sich bei Wind- und Solarenergie. Aber auch im Bereich der Nutzung der Bioenergie und der Geothermie und bei der Entwicklung und Zur-Verfügung-Stellung von Energiespeichern sind große Anstrengungen erforderlich.
LABITZKE: Eigentlich sind sich alle Menschen einig im Ausbau der erneuerbaren Energien, doch Sie erleben auch den lokalen Wiederstand gegen Wind- sowie Biogasanlagen. Was ist nötig, damit der tatsächlich nötige Umstieg auf erneuerbare Energie auch in den Köpfen der Menschen sich verankert.
PALANDT: Die Energiewende betrifft alle Menschen – sie ist ein Gemeinschaftswerk. Ob als Arbeitgeber oder Arbeitnehmer, Hausbesitzer oder Mieter, Verkehrsteilnehmer, Entscheider oder Planer, Wirtschaftsunternehmen oder Kommunen – alle sind davon betroffen und müssen ihren Beitrag leisten. Zentrale Anforderung auf Bundes- und Landesebene ist die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für eine vorausschauende aber zügige Umsetzung der Energiewende. Auf regionaler Ebene muss die Regionalplanung die raumordnerischen Voraussetzungen schaffen, um Standorte für eine dezentrale Energieversorgung zu sichern und zu entwickeln. Die Energiewende muss Einzug ins Wirtschaftsdenken von Unternehmen halten. Nicht nur kurzfristig rentable Maßnahmen sollten umgesetzt, sondern auch langfristige Investitionen getätigt werden. Insbesondere die energieintensiven Unternehmen werden künftig von Effizienzsteigerungen und bezahlbaren Brennstoffen abhängig sein, die Suche nach Alternativen muss höchste Priorität haben. Ein Umdenken ist auch bei den Bürgerinnen und Bürgern notwendig. Insbesondere Konsumverhalten und Energienutzung stehen auf dem Prüfstand. Bereits mit einfachen Maßnahmen lassen sich deutliche Einsparungen erzielen, es muss nur allen bekannt sein. Hier sind Politik, Kommunen und Verbände gefordert. Sie haben den direkten Kontakt zu den Menschen und können hier einiges bewirken. Auch das Verkehrsverhalten der Bürgerinnen und Bürger ist ein wichtiges Tätigkeitsfeld: ÖPNV und Fahrräder, Car-Sharing und Fahrgemeinschaften sind die Fortbewegungsarten mit den geringsten Energiekosten. Klar ist: Je mehr Energie eingespart wird, desto weniger Erneuerbare Energien sind notwendig, um die Energiewende zu schaffen. Und noch an anderer Stelle sind die Bürgerinnen und Bürger gefordert. Denn die Energiewende fordert von ihnen Zugeständnisse bezüglich der Auswirkungen auf das Landschaftsbild, sei es durch dezentrale Anlagen zur Energiegewinnung und Speicherung oder durch regionale oder überregionale Stromtrassen. Selbst wenn intelligente Stromnetze die Höchstspannungsleitungen irgendwann ersetzen werden. Übergangsweise werden sie dennoch benötigt. Die Energiewende wird infolge der Installation und Wartung dezentraler Energieerzeugungsanlagen, der Heizungsmodernisierung und der Gebäudedämmung sowie die Transformation des Verkehrssektors hin zur Elektromobilität ein wichtiger Wirtschaftsfaktor werden. Der Mittelstand kann hiervon erheblich profitieren. Gleichzeitig ist es notwendig, für diese Transformation die Berufsausbildung und Studiengänge weiter zu entwickeln, um die Bedürfnisse des Marktes befriedigen zu können. Es besteht ein hoher Qualifizierungsbedarf der Fachleute. Auch Bildungsstätten müssen also einen Beitrag leisten. Die Energiewende wird unabwendbar kommen. Hierfür sind Technologiefortschritte im Bereich der Energieeinsparung, des Ausbaus der Erneuerbaren Energien sowie der Netz- und Speichertechnik notwendig. Aber auch das Energieverbrauchsverhalten eine jeden Einzelnen ist gefordert. Nicht zuletzt ist die Akzeptanz der bevorstehenden Transformation eine der großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die vor uns liegt. Das Regionale Energie- und Klimaschutzkonzept soll in einer ab 2013 folgenden Phase 2 weiterentwickelt werden. Ein zentraler Baustein wird dabei das Thema Akzeptanzsteigerung und Bürgerbeteiligung sein. Ohne die Menschen wird die Energiewende nicht gelingen. Man muss begreifen können, was passiert und bestenfalls aktiv teilnehmen können am Prozess des Umbaus der Energieversorgung. Nur dann haben wir eine gute Chance, die Zielsetzungen zu erreichen.
LABITZKE: Ein weiteres Thema, dass in den Kommunen „hochkocht“, ist das Thema Fracking. Was nehmen Sie aus dem Hearing zu eben diesem Thema mit für die Arbeit als erster Verbandsdirektor?
PALANDT: Ich meine, es war ausgesprochen wichtig, den Menschen im Großraum Braunschweig ein Angebot zu machen, sich über das Fracking auch auf dieser Ebene zu informieren und zu erfahren, wie der Stand der Dinge zu diesem ausgesprochen konfliktträchtigen Thema ist. Man hat gespürt, dass viele Menschen einfach einen geeigneten Raum brauchten, um sich ihrer Meinung dazu einmal „Luft zu verschaffen“. Das Expertenhearing war eine Gradwanderung, aber wir sind froh, dass wir es für die Kommunen und die Menschen im Großraum Braunschweig durchgeführt haben. Wir brauchen höchstmögliche Transparenz! Der Zweckverband Großraum Braunschweig spricht sich – wie sämtliche Kommunen im Verbandsgebiet – gegen die Förderung von Erdgas durch Fracking aus. Wir sind der Auffassung, dass die Erschließung neuer Gasquellen auch in der Zukunft grundsätzlich möglich und ggf. auch sinnvoll sein kann. Hierbei sollten wir unsere Rohstoffreserven aber nicht einfach leichtfertig verbrennen, sondern für ganz andere, wichtigere Dinge einsetzen. Allerdings ist auch dabei sicher zu stellen, dass eine Förderung von unkonventionellem Erdgas nur unter strikter Einhaltung höchster Umweltstandards stattfinden darf. Aktuell liegt aber vielmehr der Schluss nahe, dass durch Fracking zur Erdgasgewinnung in der derzeitigen Form erhebliche Risiken für Mensch und Umwelt bestehen. Übrigens haben wir ja nicht zuletzt mit unserem Energie- und Klimaschutzkonzept aufgezeigt, dass es auch anders geht und wir perspektivisch auf den Einsatz von fossilen Energieträgern ganz verzichten können.
LABITZKE: Herr Palandt, vielen Dank für dieses Interview und viel Erfolg bei der Umsetzung des regionalen Energie- und Klimaschutzkonzeptes für den Großraum Braunschweig.