
Die „Sozis gegen Vorratsdatenspeicherung“ haben ein Mitgliederbegehren gegen die Vorratsdatenspeicherung auf den Weg gebracht. Es ist das erste Mitgliederbegehren seit der Parteireform im Dezember 2011. Der Innenrechtsexperte der SPD-Bundestagsfraktion Michael Hartmann als Befürworter sowie Yasmina Banaszczuk und Dennis Morhardt als Gegner der Vorratsdatenspeicherung legen ihre Positionen dar.
Du findest die Unterschriftenliste und weitere Informationen HIER.
Mehr Informationen auch unter www.SPD.de
Pro und Contra Vorratsdatenspeicherung
Namensbeitrag des innenpolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion Michael Hartmann
Manche meinen, wenn es Vorratsdatenspeicherung gibt, geht der Rechtsstaat unter. Manche meinen, wenn es sie nicht gibt, liegt die Strafverfolgung brach. Beide Extreme sind Unfug. Es geht nicht um Glaubenskriege, sondern um die vernünftige Abwägung aller Umstände.
Eine EU-Richtlinie verpflichtet Deutschland ein Gesetz zu erlassen, durch das Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden, Verbindungsdaten, nicht aber Inhalte, für eine begrenzte Zeit zu speichern. Das Bundesverfassungsgericht hat 2010 festgestellt, dass dies im Einklang mit dem Grundgesetz möglich ist:
„Mit diesem Inhalt kann die Richtlinie ohne Verstoß gegen die Grundrechte des Grundgesetzes umgesetzt werden. (Rz. 187)“
Wegen der Untätigkeit der Bundesregierung hat die EU-Kommission Deutschland bereits verklagt. Hier muss die zwischen CDU/CSU und FDP zerstrittene Regierung endlich Farbe bekennen: Mit gar keiner Position lässt sich in Brüssel jedenfalls nichts verhandeln und schon gar nichts verbessern.
Wie eine verfassungsmäßige Ausgestaltung aussehen muss, hat das Bundesverfassungsgericht auch vorgegeben. Die Telekommunikationsunternehmen müssen Verbindungsdaten speichern, wie dies zu Zeiten des Einzelverbindungsnachweises alltäglich war. Nur in gesetzlich klar begrenzten Fällen, nämlich bei schweren Straftaten oder zur Abwehr besonders schwerer Gefahren, kann der Staat darauf zugreifen. Es geht anders als in Polizeistaaten gerade nicht um Totalüberwachung rund um die Uhr. Der Staat hat die Daten nicht. Es gibt aber Straftaten, bei denen die Verbindungsdaten im Internet den einzigen Ermittlungsansatz bieten. Wer Vorratsdatenspeicherung kategorisch ablehnt, muss sich darüber klar sein, dass er damit auch akzeptiert, dass schwerste und andauernde Straftaten nicht aufgeklärt werden.
Es gilt abzuwägen: Wie sehr ist jeder Einzelne belastet, wenn Verbindungsdaten für einige Monate bei den Telekommunikationsanbietern gespeichert bleiben? Wie schwer wiegt dies gegen das Leiden der Opfer von Straftaten, die anders nicht verhindert oder beendet werden können? Wie hoch ist das legitime Interesse des Staates zu bewerten, besonders gefährliche Straftäter vor Gericht zu bringen? Diese Wertentscheidung muss unsere Gesellschaft treffen.
Das Mitgliederbegehren ist ein legitimes Instrument zur Klärung dieser auch in der SPD sehr umstrittenen Frage. Es wird aber davon ablenken, dass die handlungsunfähige schwarz-gelbe Regierung dabei versagt, in Brüssel für unsere Interessen einzutreten. Die SPD setzt dagegen zum Interessenausgleich auf eine Überarbeitung der Richtlinie: Mehr Spielräume für die Mitgliedstaaten, kürzere Speicherfristen deutlich unter sechs Monate; Differenzierungen bei Speicherdauer und Zugriffsvoraussetzungen. Die allein auf die Vorratsdatenspeicherung verengte Debatte ausgerechnet der Generation Facebook verstellt den Blick auf die gravierenden Bedrohungen der Privatheit, die von der Privatwirtschaft ausgehen. Dort ist die massenhafte Erstellung von Persönlichkeitsprofilen eine Gefahr, und wir selbst liefern freiwillig und freizügig unsere Daten.
Wir Sozialdemokraten wollen Freiheitsrechte achten und die Bürgerinnen und Bürger wirksam schützen. Dafür bedarf es eines maßvollen Staates: Er soll nicht zu viel dürfen, aber er darf auch nicht zu wenig können.
Namensbeitrag von Yasmina Banaszczuk und Dennis Morhardt, Initiatoren des Mitgliederbegehrens zur Vorratsdatenspeicherung innerhalb der SPD
Es gibt viele Argumente contra Vorratsdatenspeicherung. Die zweifelhafte Verfassungsmäßigkeit, die unsichere Umsetzung und Gewährleistung des Datenschutzes, und einfach die Wirkungslosigkeit des Instruments. Doch immer, wenn es um Vorratsdatenspeicherung geht, geht es auch um Werte. Können wir eine ganze Nation unter Generalverdacht stellen, sie rund um die Uhr überwachen, um damit vermeintlich Verbrechen aufklären zu können? Welche Grundwerte sind uns wichtiger? Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität – oder ein falsches Gefühl der Sicherheit?
Als Sozialdemokraten ist, nein, muss die Antwort klar sein: Vorratsdatenspeicherung widerspricht den sozialdemokratischen Grundwerten. Eine Partei, die in den letzten 150 Jahren zwei Weltkriege und Abgründe wie das Dritte Reich und den Überwachungsstaat der DDR überwunden hat, muss sich auch in heutigen Zeiten weiter klar und deutlich für Freiheit einsetzen. Niemals, so lehrt uns die Geschichte, darf Freiheit gegen eine gefühlte Sicherheit eingetauscht werden. Da hilft es nicht, die Speicherdauer der Daten zu reduzieren – die Überwachung würde so oder so erfolgen. Die Verharmlosung der technischen Umsetzung zeugt letztlich nur von schwacher Argumentation: man versucht die Umstände zu beschönigen, das Prinzip bliebe dasselbe.
Auch wird oft von Befürwortern der Vorratsdatenspeicherung berichtet, diese sei zwingend notwendig, um die staatliche Sicherheit zu gewährleisten. Zur Terrorabwehr wird sie genannt. Ein Ablenkungsmanöver, welches die Vorratsdatenspeicherung rechtfertigen soll, dabei jedoch in keinster Weise belegbar ist. Wie viele Studien müssen noch erscheinen, die zeigen, dass Vorratsdatenspeicherung keine bedeutende Veränderung von Aufklärungsquoten herbeiführt? Und zur Prävention? Das muss schon allein logisch verständlich sein: bei 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, die tagtäglich telefonieren, sich bewegen, im Internet surfen, müsste eine Rasterfahndung auf alle Telefon- und Verbindungsdaten angewandt werden. Rasterfahndung nach was? Käufer von Chemikalien? Besuchern einer Moschee? Personen mit bestimmter Gesinnung? Willkürliche Datenlotterie, darauf würde es hinaus laufen. Das ist weder gerecht, noch solidarisch, noch freiheitlich.
Nein, Vorratsdatenspeicherung kann nicht die Antwort auf eine sich verändernde Welt sein, in der Bedrohungen subtiler und somit beängstigender werden. Wir müssen unsere Sicherheitskräfte weiterbilden und schulen, um Aufklärung und Prävention zu verbessern. Niemals dürfen wir unsere Freiheit opfern. Wir werden Vorratsdatenspeicherung weiter ablehnen, und nicht nur aus datenschutztechnischen Gründen, der zweifelhaften Umsetzungsmöglichkeit oder auf Grund von Urteilen des Verfassungsgerichts. Nein, wir werden Vorratsdatenspeicherung weiter ablehnen, auch und vor allem, weil wir als Sozialdemokraten für unsere Werte einstehen: Solidarität. Gerechtigkeit. Freiheit.
„Die Demokratie ist keine Frage der Zweckmäßigkeit, sondern der Sittlichkeit.“ – Willy Brandt