Zahlung des Mindestlohns muss kontrolliert werden

Seit 1. Januar 2015 gilt in Deutschland der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Einige Branchen können auf der Basis von bundesweiten Branchenta-rifverträgen bis Ende 2017 davon abweichen, wobei ab 1. Januar 2017 auf jeden Fall min-destens 8,50 Euro zu zahlen sind. Noch bevor die ersten Mindestlöhne gezahlt wurden, kritisierten Arbeitgeberverbände die Umsetzung des Mindestlohns. Nun regen sich auch Stimmen in der CDU/CSU-Fraktion, die Abstriche beim Mindestlohn fordern. Derartige Diskussionen hält die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann, für scheinheilig und gehen am eigentlichen Thema vorbei, sagt sie im Interview mit fraktion intern.

Frau Reimann, das Arbeitgeberlager und auch ihr Koalitionspartner – die Union – kriti-sieren, dass der Mindestlohn zu bürokratisch sei. Wie beurteilen Sie das?
Das Gerede über die hohen Hürden ist überzogen und die Argumente konstruiert. Politik und Arbeitgeberverbände waren intensiv in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden. Wer nun ein Bürokratiemonster geißelt, tut dieses wider besseren Wissens. Vielen dieser Leute geht es nur darum, den Mindestlohn doch noch zu verhindern. Aber ohne ein Mindestmaß an Kontrolle gibt es praktisch keinen Mindestlohn. Die Regelungen sind notwendig, vernünftig und maßvoll. Sie werden nicht ausgehöhlt.  
Statt durch Änderungen den Mindestlohn auszuhöhlen, muss vielmehr der Missbrauch bei der Umsetzung bekämpft werden. Oft werden Beschäftigte um ihren Lohn betrogen und mit viel Aufwand von ihren Arbeitgebern überwacht. Dafür werden weder Kosten noch Mühen gescheut. Eine Arbeitszeitaufzeichnung zur Überwachung der Arbeitnehmer ist die Regel. Im Falle einer Missbrauchseinschränkung wird es Bürokratie genannt.

Wie groß ist denn der Aufwand für die Arbeitgeber?
Gering. Dokumentieren müssen die wenigsten Arbeitgeber. Nur in den neun im Schwarzar-beitsbekämpfungsgesetz aufgeführten Branchen und bei den gewerblichen Minijobs besteht diese Pflicht. In diesen Bereichen blüht ohne Kontrolle Schwarzarbeit und illegale Beschäfti-gung und Arbeitnehmerrechte werden ignoriert wo immer es geht. Die im Schwarzarbeitsbe-kämpfungsgesetz aufgeführten Branchen stehen aus diesem Grund auch unter besonderer Beobachtung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls. Die beschlossenen zusätzlichen 1.600 Stellen beim Zoll sind unverzichtbar, um einen systematischen und organisierten Missbrauch beim Mindestlohn in diesen Bereichen zu verhindern.
Die Dokumentation ist auch nicht aufwendig. Sie braucht nicht länger als eine Minute. Es muss nur Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit aufgeschrieben werden. Pausen werden nicht extra dokumentiert. Es reicht aus, alles handschriftlich in ein Heft einzutragen. Vor-schriften zur Form gibt es nicht. Bereits das Arbeitszeitgesetz und das Arbeitnehmerentsen-degesetz verlangen in vielen Fällen die Aufzeichnung von Arbeitszeiten. Und die allermeisten Arbeitgeber lassen die Arbeitszeit sowieso dokumentieren. Das kann auch durch die Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbst geschehen.

Noch ist der Zoll personell ja gar nicht vorbereitet auf die Kontrolle zur Einhaltung des Mindestlohns, und schon stellt der Bundesfinanzminister das zusätzliche Personal in Frage. Wie will Ihre Fraktion denn dann eine ordentliche Kontrolle gewährleisten?
Der Bundestag hat beschlossen, dass zur Kontrolle der Zahlung des Mindestlohns zusätzlich 1.600 Zollbeamte eingestellt werden. Dieses Jahr werden es 320 Personen sein. Da diese erst ausgebildet werden müssen, wird es einige Zeit dauern, bis alle einsatzfähig sind. Wir bestehen auf dieser beschlossenen personellen Ausstattung, denn ein Mindestlohn auf dem Papier nutzt weder den Beschäftigten noch den fairen Unternehmen, die einem existenzge-fährdenden Dumpinglohnwettbewerb ausgesetzt sind.
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns führt auch zu Preiserhöhungen. Taxi-fahrten, Friseurbesuche und auch essen gehen im Restaurant werden unter Umstän-den teurer werden.

Befürchten Sie da einen Konflikt mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern?
Nein. Selbstverständlich kostet eine Dienstleistung, die fair entlohnt wird, mehr als eine, für die ein Dumpinglohn gezahlt wird. Wer will, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land von ihrem Lohn leben können, ohne dass aus Steuermitteln ständig etwas draufgepackt werden muss, der akzeptiert auch Preiserhöhungen. Das war allen bekannt und trotzdem oder gerade deswegen unterstützen mehr als 82 Prozent der Bevölkerung die Einführung des Mindestlohns.

Es wird behauptet, dass die Beschäftigten, die nun den Mindestlohn von 8,50 Euro erhalten, schlechter gestellt sind als zuvor, weil die Arbeitgeber ihnen nun gewisse Zuschläge nicht mehr oder nur einen geringeren Anteil davon zahlen würden. Ist das so richtig?
Sicherlich überprüfen Arbeitgeber jetzt auch ihre Entlohnungssysteme. Aber Zuschläge bei-spielsweise für Schicht-, Nacht- und Wochenendarbeit sind zwingend zusätzlich zu zahlen. Das gilt aber auch bei Schmutz- und Gefahrenzulagen, Überstundenzuschlägen, Akkord-prämien und Qualitätsprämien. Grundlegend ändert sich da nichts.

Ihre Dr. Carola Reimann, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion