Gedenkveranstaltung anlässlich des 30. Todestages von Elisabeth Selbert

Elisabeth Selbert war eine „Mutter des Grundgesetzes“. Sie setzte durch, dass in Artikel 3 des Grundgesetzes steht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“Anlässlich ihres 30. Todestages hatten Dr. Christos Pantazis, Vorsitzender der SPD Braunschweig, und Nadine Labitzke-Hermann, die Vorsitzende der ASF in Braunschweig, in die Schloßstraße eingeladen. Landtagsvizepräsident Klaus-Peter Bachmann eröffnete die Veranstaltung mit Referentin Inge Wettig-Danielmeier und begrüßte die Gäste.

Von links: Klaus-Peter Bachmann, Annegret Ihbe, Inge Wettig-Danielmeier und Nadine Labitzke-Hermann
Von links: Die Schülerpraktikantin von Klaus-Peter Bachmann Pamela Maurer, Nadine Labitzke-Hermann (Vorsitzende der ASF im Unterbezirk Braunschweig), Erika Witt (Mitarbeiterin SPD-Unterbezirk), Referentin Inge Wettig-Danielmeier, Landtagsvizepräsident Klaus-Peter Bachmann, Bürgermeisterin Annegret Ihbe
Landtagsvizepräsident Klaus-Peter Bachmann beim Grußwort
Bürgermeisterin Annegret Ihbe beim Grußwort

Bachmann verglich Elisabeth Selbert in ihrer wichtigen Rolle bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 mit der Rolle der Begründerin der Arbeiterwohlfahrt, Marie Juchacz, in der Zeit der Gründung der 1. deutschen Republik ab 1919.

Elisabeth Selbert habe bereits in sehr jungem Alter Parteiämter innegehabt, stellte Bachmann fest. Nach dem Krieg war sie in Hessen aktiv, dort auch Mitglied des Landtages und arbeitete im Parlamentarischen Rat an der Ausarbeitung des Grundgesetzes mit. Sie habe die Mitwirkung von Frauen bei allen politischen Themen gewollt, nicht nur bei für Frauen typischen wie dem Sozialbereich. Er fühle sich Elisabeth Selbert nicht nur als Landtagsvizepräsident sondern auch als Vorsitzender des Landesverbandes der Volkshochschulen sehr verbunden, erklärte Bachmann, denn sie habe über den zweiten Bildungsweg ihren endgültigen Berufsabschluss erreicht.

Bürgermeisterin Annegret Ihbe, die auch Landessprecherin der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) ist, begrüßte viele derzeitige und frühere Aktive der ASF. Sie meinte in ihrem Grußwort, Elisabeth Selbert sei viel zu wenig bekannt. Sie habe nach der ersten Etappe, der Einführung des Frauenwahlrechts 1918, bei ihrer Arbeit im Parlamentarischen Rat eine zweite wichtige Etappe der Frauenrechte durchgesetzt, als sie nachdrücklich auf der Formulierung „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ im Grundgesetz bestand.

Erst durch diesen Grundgesetzartikel konnten in den folgenden Jahrzehnten die Rechte der Frauen auch in den Einzelgesetzen, wie dem bürgerlichen Recht, dem Familienrecht und Arbeitsrecht festgeschrieben werden, erläuterte Annegret Ihbe. Sie nannte Beispiel für weitere Etappen: Erst ab 1962 durften Ehefrauen ein eigenes Bankkonto für ihren Lohn eröffnen. Sie waren erst ab 1969 geschäftsfähig. Das eheliche Namensrecht bietet erst seit 1991 die volle, freie Namenswahl. Erst seit 1992 gelten Kindererziehungszeiten als echter Teil der Rentenversicherungszeit.

Heute gebe es unter anderem Gleichstellungsbeauftragte, Quoten innerhalb der SPD, den Internationalen Frauentag, damit die Forderung nach Gleichstellung nicht vergessen werde, schloss Annegret Ihbe, dennoch sei es immer noch ein „langer, steiniger Weg“ zu wirklicher Gleichberechtigung.

Elisabeth Selbert schrieb schon 1920: „Wir müssen nun dahin wirken, dass die Gleichberechtigung in der Praxis bis zur letzten Konsequenz durchgeführt wird.“ 1948/1949 war sie dann eine von vier Frauen im Parlamentarischen Rat und setzte gegen den Widerstand vieler Männer in dem 65 Mitglieder umfassenden Rat den Artikel 3 durch. Dieser bildete die zunächst nur theoretische Grundlage für gleiche Rechte. Erst in den späteren Jahrzehnten folgten die Rechte für Frauen in den einzelnen Gesetzesbüchern.

Der Artikel 3 des Grundgesetzes ist inzwischen 67 Jahre her, doch sind Frauen wirklich gleichberechtigt, oder sprechen ungleicher Lohn und gesellschaftliche Stereotype eine andere Sprache? Um diese Frage ging es im anschließenden Vortrag von Inge Wettig-Danielmeier unter dem Titel „Elisabeth Selbert kämpfte für die Gleichstellung. – Wo stehen wir heute?“

Wettig-Danielmeier ehrte das Leben und Wirken von Elisabeth Selbert, die sie persönlich kannte und mit der sie beispielsweise im Rahmen der Arbeit der ASF Kontakt hatte. Damals sei das Wirken von Elisabeth Selbert noch wenig bekannte gewesen, es kam erst ab der Zeit der sozial-liberalen Koalition etwas an die Öffentlichkeit.

Inge Wettig-Danielmeier wies darauf hin, dass es das Land Niedersachsen war, das Elisabeth Selbert in den Parlamentarischen Rat entsandte, denn es gab auch innerhalb der SPD Widerstände gegen ihre Arbeit, beispielsweise in ihrem eigenen Landesparlament in Hessen.

Auf ihrem gesamten Lebensweg hatte Elisabeth Selbert mit vielen Widerständen zu kämpfen, berichtete Inge Wettig-Danielmeier. Auf dem zweiten Bildungsweg erlangte sie den Hochschulabschluss, studierte Jura und bekam ihre Rechtsanwaltszulassung, kurz bevor die Nationalsozialisten es für Frauen unmöglich machten. Elisabeth Selbert arbeitet als Anwältin, ernährte während des Nationalsozialismus so ihren Mann und ihre Kinder. Nach dem Krieg während ihrer Mitwirkung am Grundgesetz hatte sie gegen viele Widerstände zu kämpfen, um den Artikel 3 schließlich durchzusetzen.
Inge Wettig-Danielmeier erzählte sehr anschaulich auch viele eigene Erlebnisse, bei denen sie die Benachteiligung von Frauen in oft skurriler Weise erfahren hat. Sie schloss mit der Feststellung, das Frauen bei der Erlangung gleicher Rechte „Stück für Stück weitergekommen“ aber immer noch nicht am Ziel angekommen seien, da sie beispielsweise noch oft nur Teilzeit arbeiten.

In der anschließenden Diskussion ging es auch um aktuelle politische Themen und Entwicklungen.

Das Schlusswort sprach Nadine Labitzke-Hermann, die Vorsitzende der ASF Braunschweig. Sie wies auf heutige Formen der Diskriminierung hin und meinte, die Elisabeth Selbert zustehende Würdigung in der Öffentlichkeit sei „immer noch ausbaufähig“.

Inge Wettig-Danielmeier ist Diplom-Sozialwirtin, inzwischen in Rente. Sie war am Institut für Sozialpolitik und Sozialrecht tätig, sowie am Seminar für Politikwissenschaft in Göttingen. Seit 1985 veröffentlicht sie Aufsätze über den Sozialdemokratischen Pressedienst und in Schriften der Friedrich Ebert Stiftung. Ein Schwerpunkt ihrer Veröffentlichungen liegt auf der Gleichstellung und den Rechten von Frauen. Sie war unter anderem von 1981 bis 2007 Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, von 1972 bis 1990 Mitglied des niedersächsischen Landtages, von 1990 bis 2005 Mitglied des Bundestages und von 1991 bis 2007 Bundesschatzmeisterin der SPD.

 

Text und Fotos: Sigrid Herrmann