10 Jahre Elterngeld. Ein Interview mit Dr. Carola Reimann MdB

Vor nunmehr 10 Jahren wurde in Deutschland das Elterngeld eingeführt. Das Konzept stammte von der Sozialdemokratin Renate Schmidt, übernommen hat es das CDU-geführte Familienministerium. Das Elterngeld sollte jungen Familien die Entscheidung für ein Kind erleichtern.


Seit Januar 2007 erhielten deshalb Eltern für bis zu 14 Monate nach Geburt bis zu 67% des Nettoeinkommens vom Staat. Um beide Elternteile in die Elternzeit einzubeziehen werden 2 der 14 Monate nur gewährt, wenn beide Elternteile mindestens 2 Monate der Elternzeit in Anspruch nehmen. Schnell etablierte sich aber die Bezeichnung "Vätermonate".

 

Dr. Carola Reimann hat als Bundestagsabgeordnete die Einführung und Entwicklung des Elterngelds mit begleitet. Das Team #Löwinnenstadt der Braunschweiger Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen hat sie interviewt.

 

Löwinnenstadt: Liebe Carola, das Elterngeld ist eine der großen familienpolitischen Neuerungen. Was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Ziele des Elterngelds?

Carola: Die Einführung des Elterngeldes war ein Paradigmenwechsel in der Familienpolitik. Das Vorgängermodell Bundeserziehungsgeld hatte dazu geführt, dass vor allem Mütter daheim blieben und die Väter die Hauptverdiener waren. Eine partnerschaftliche Aufteilung der Familienaufgaben war so nicht möglich. Das Elterngeld sollte insbesondere Väter dazu ermutigen, für eine Zeit aus dem Beruf auszuscheiden und die Arbeitszeit für die Familie zu reduzieren.

 

Löwinnenstadt: Wie hast du als Abgeordnete die Einführung des Elterngelds erlebt. Gab es große Widerstände?

Carola: Vor allem gegen die sogenannten Vätermonate gab es damals erheblichen Widerstand von der Union. Das waren vor allem einige CDU-Ministerpräsidenten und die CSU. Wir haben von der Leyen unterstützt, wo es ging. Das Elterngeld ist der Verdienst von Renate Schmidt, die es als ehemalige Familienministerin 2005 im Koalitionsvertrag mit der Union verankert hat.

 

Löwinnenstadt: Mütter sollten früher wieder in den Beruf zurückkehren und Väter sich stärker an der Kindererziehung beteiligen. War hier ein Wandel des Familienbildes zu erkennen?

Carola: Ja, absolut. Ich würde sogar so weit gehen, es eine kleine kulturelle Revolution zu nennen. Das alte Erziehungsgeld haben nur zwei Prozent der Männer wahrgenommen. Heute nehmen 34 Prozent der Männer das Elterngeld in Anspruch. Dieser bemerkenswerte Anstieg zeigt, wie groß die Veränderung ist.

 

Löwinnenstadt: Woran liegt es, dass der Großteil der Väter nur die 2 Monate Elternzeit übernimmt?

Carola: Das liegt daran, dass die meisten Väter deutlich mehr verdienen als die Mütter. Und da ist nach rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten ganz klar, dass der Mann wieder arbeiten gehen muss und sich keine längere Auszeit nehmen kann. 52 Prozent der Männer wünschen sich, mindestens die Hälfte der Kinderbetreuung zu übernehmen. Dass dann nicht die Hälfte der Väter die Hälfte des Elterngelds in Anspruch nimmt, zeigt, dass hier noch viel zu tun ist. Ich sage nur Lohngerechtigkeit und Equal Pay. Diese Stellschraube muss neu justiert werden. Damit beginnen wir jetzt mit dem Lohngerechtigkeitsgesetz.

Durch das Elterngeld ist aber schon viel passiert. Die Partnermonate haben dazu geführt, dass sich etwas in den Köpfen tut. 2007 war es noch überhaupt keine Selbstverständlichkeit, dass Männer in Elternzeit gehen. Und auch wenn es durchschnittlich nur drei Monate sind, ist es immerhin ein Anfang. Häufig sind die Rollen in den Familien noch ganz klassisch verteilt. Aber es tut sich etwas. Das Gesellschaftsbild hat sich ganz klar gewandelt. Luft nach oben ist aber allemal. Ich gebe erst Ruhe, wenn wir bei einer 50:50-Aufteilung angekommen sind, also wenn Väter genauso lange eine Auszeit nehmen wie Mütter.

 

Löwinnenstadt: Mit dem Elterngeld Plus habt ihr im Bundestag weitere Verbesserungen vorgenommen, die 2015 in Kraft getreten sind. Was hat sich genau geändert?

Carola: ElterngeldPlus ist für die gemacht, die schon während des Elterngeldbezugs wieder in Teilzeit arbeiten wollen. Sie können doppelt so lange Elterngeld beziehen (in maximal halber Höhe). Aus dem normalen Elterngeld-Monat werden somit zwei ElterngeldPlus-Monate. Eltern, die sich für ein partnerschaftliches Zeitarrangement entscheiden, erhalten einen Partnerschaftsbonus: Sie bekommen vier zusätzliche ElterngeldPlus-Monate, wenn sie in dieser Zeit gleichzeitig zwischen 25 und 30 Wochenstunden arbeiten. Dies gilt auch für getrennt erziehende Eltern, die als Eltern gemeinsam in Teilzeit gehen. Alleinerziehenden steht der gesamte Partnerschaftsbonus zu. Das Elterngeld Plus bietet Familien flexiblere Möglichkeiten, die Betreuung ihres Kindes und ihren Beruf miteinander zu vereinbaren, und es sichert sie über einen längeren Zeitraum ab. Zudem bekommen Paare größere Gestaltungsfreiheit bei der gleichzeitigen Inanspruchnahme von Elterngeld, so dass sie sich ihre familiären und beruflichen Aufgaben leichter partnerschaftlich teilen können. Mit dem ElterngeldPlus haben wir auf die veränderten Lebenswirklichkeiten und Wünsche und Bedarfe reagiert.

 

Löwinnenstadt: Wie hat sich die Elternzeitaufteilung nach der Einführung des Elterngeld Plus entwickelt?

Carola: Schon über 18 Prozent der Eltern, deren Kinder ab dem 1. Juli 2015 geboren wurden, haben diese neue Leistung in Anspruch genommen. In einigen Regionen sind es sogar bis 29 Prozent. Das sind die Zahlen aus dem dritten Quartal 2016. Bei Vätern kommt besonders der Partnerschaftsbonus gut an, der die gleichzeitige Erwerbstätigkeit von 25 bis 30 Wochenstunden mit der Partnerin fördert: Etwa 40 Prozent der Väter, die ElterngeldPlus beantragen, entscheiden sich zugleich für den Partnerschaftsbonus. Außerdem ist zu beobachten, dass Väter, die ElterngeldPlus in Anspruch nehmen, länger Elterngeld beziehen, nämlich im Schnitt 7,7 Monate.

 

Löwinnenstadt:  Um die Vereinbarkeit von Eltern zwischen Familie und Beruf noch weiter zu verbessern ist eine neue Leistung in Planung. Was hat es mit der sogenannten Familienarbeitszeit auf sich?[RCM02] 

Carola: Wir planen die Familienarbeitszeit mit einem Familiengeld. Wenn beide Elternteile ihre Arbeitszeit reduzieren, sollen sie für 24 Monate durch ein Familiengeld unterstützt werden. Natürlich sollen auch Allein- oder getrennt Erziehende das Familiengeld erhalten. Gerade Familien mit kleinen Einkommen sollen sich mehr Partnerschaftlichkeit in der Familie leisten können. Das Familiengeld unterstützt eine partnerschaftliche Arbeitsteilung, erhöht die Chance, dass Frauen zumindest in „großer Teilzeit“ arbeiten und so ihre eigene Absicherung verbessern.

 

Löwinnenstadt: Liebe Carola, viel Erfolg weiterhin und danke für das Gespräch.

Carola: Vielen Dank.