Sex ist kein Kaugummi – Prostitution überwinden

Zwischen 200.000 und 400.000 Menschen, überwiegend Frauen, sind schätzungsweise in der Prostitution tätig. Wer kennt die Lage dieser Menschen besser als jemand, der sie selbst erlebt hat? Die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) und der SPD Ortsverein Gliesmarode-Riddagshausen luden eine Aussteigerin ein, von ihren Erfahrungen zu berichten und ihre Wünsche an Politik und Zivilgesellschaft zu äußern.

Der Begriff Sexarbeit kommt nicht von den Frauen“, stieg die Aussteigerin in Ihren Bericht ein; „in der Prostitution gibt es keinen Arbeitsschutz.“ Sie selbst habe 20-Stunden-Schichten im Bordell durchgemacht, sei völlig ausgelaugt gewesen, habe nur noch mit Drogen die Tage überstehen können. Die vier Haupteinstiegsursachen seien familiärer Zwang, die Loverboy-Methode, Tanz-oder Babysitterjobs als Lockmittel und Armut. 9 von 10 Frauen würden aussteigen, wenn sie eine Alternative hätten, der Begriff Sexarbeit verharmlose die Situation der Menschen in der Prostitution, so die Aussteigerin.

Während des Abiturs lernte die junge Frau einen sogenannten Loverboy kennen, der ihr Zuhälter wurde. Emotional abhängig erkannte sie ihre Lage zu spät, ein Ausstieg war kaum möglich. Sie suchte sich Beratung, erhielt aber keine, die sie beim Ausstieg unterstützen konnte. Nachdem sie eine Mischung aus Schlaftabletten und Drogen erbrochen hatte, zog sie einen Schlussstrich und ging nicht mehr ins Bordell. Eine Entscheidung, die sie auch hätte das Leben kosten können, doch sie hatte Glück.

„Die rot-grüne Regierung hat die prekäre Situation erkannt und 2002 das Prostitutionsgesetz eingeführt und die Sittenwidrigkeit aufgehoben. 2017 kam dann das Prostituiertenschutzgesetz und die Anmeldepflicht dazu. Jetzt gilt es, die Gesetzgebung kritisch zu analysieren,“ so Nadine Labitzke-Hermann, Vorsitzende der ASF. „Schätzungen zufolge sind 200.000 bis 400.000 Menschen in der Prostitution – dem gegenüber steht eine registrierte Zahl von gerade mal 33.000 Frauen. Bei einer so hohen Dunkelziffer und weiterhin zahlreichen Berichten von Gewalt in der Prostitution können wir von keinem wirkungsvollen Gesetz sprechen – es braucht ein deutliches Umdenken,“ erklärt ASF Vize Kathrin Boos.

Doch nur bei Reformen dürfe es nicht bleiben, fordert die Aussteigerin: „Es genügt nicht, den Ausstieg zu ermöglichen, wenn andere Frauen nachrücken“ Sie ist Verfechterin des Nordischen Modells, das Frauen in der Prostitution entkriminalisiert und Freier bestraft und zusätzlich Ausstiegsprogramme und Prävention vorsieht. „Wäre der Sexkauf illegal würden viele Männer diesen nicht tätigen“, davon ist die Aussteigerin überzeugt. „Prostitution ist Gewalt. Sex ist kein Kaugummi, den man sich einfach kaufen kann,“ darauf gründe das Nordische Modell.

Auf kommunaler Ebene ist auch jetzt schon ein Umdenken möglich. Ein erster Schritt sei ein umfangreiches und vor allem nachhaltig finanziertes Netz von Unterstützungsangeboten für Menschen in der Prostitution, die aussteigen möchten. In Braunschweig übernimmt der Verein Solwodi derzeit die Aufgabe, ausschließlich spendenfinanziert. Ein weiteres niedrigschwelliges Angebot, wie ein „Ausstiegscafé“ direkt an der Bruchstraße wäre eine geeignete Einrichtung.

Die ASF wird sich für eine Umsetzung des nordischen Modells auf kommunaler Ebene einsetzen. Auch auf Bundesebene soll das Modell die Gesetzgebung verändern, einen entsprechenden Antrag hat die Braunschweiger ASF im letzten Jahr beschlossen. Ziel ist ein Beschluss bei der ASF-Bundeskonferenz im kommenden Jahr.

 

 

Fotos: Monika Elsner

Text: Nadine Labitzke-Hermann